|
3.1 Die Sprache
der Aussagenlogik
|
|
Die Formalisierung der Logik hat die Konstruktion einer formalen
Sprache zum Ziel, mit deren Hilfe jene Struktureigenschaften
von Schlüssen exakt formalisiert werden solllen, die ihre
Gültigkeit oder Falschheit bedingen. In Analogie zur linguistischen
Analyse natürlicher Sprachen besteht die Konstruktion einer
formalen Sprache aus der Angabe einer Syntax sowie
einer Semantik: Die Syntax einer formalen Sprache ist
ein Regelsystem, das Bildungsregeln für die wohlgeformten
Ausdrücke dieser Sprache beschreibt. Die Semantik einer
solchen Sprache weist jedem ihrer Ausdrücke eine Bedeutung
zu, d. h. einen Ausdruck einer formalen Sprache, welche die
Semantik der betrachteten Sprache formalisiert. Die Zuweisung
einer Bedeutung zu einem zusammengesetzten Ausdruck vollzieht
sich folgendermaßen:
"The meaning of a complex expression is a function
of the meanings of its parts and of the syntactic rules by
which they are combined." (Partee et al. 1990:318)
Dieses Prinzip wird rekursiv auf die Bedeutungen der
Teilausdrücke angewandt, bis man an den atomaren Ausdrücken
anlangt. Dieses Vorgehen einer funktionalen Ableitung der Bedeutung
eines komplexen Ausdrucks aus den Bedeutungen seiner Teilausdrücke
beruht auf dem sogenannten Kompositionalitätsprinzip
der Bedeutung, das Frege zugeschrieben wird, der es aber nicht
explizit erwähnt.
Wenn nun aber die Logik die Formalisierung von Schlüssen
zum Ziel hat, die wir mit Hilfe natürlicher Sprachen ausdrücken,
so muss die Logik gerade von jenen Operationen Gebrauch machen,
die sie zu formalisieren beabsichtigt. Wenn wir nämlich die
Logik als formale Sprache konstruieren bzw. definieren, so geschieht
dies mit Hilfe einer natürlichen Sprache, z. B. mit Hilfe
des Deutschen.
Wie kann dieser scheinbare Widerspruch aufgelöst werden?
Die Lösung des Problems stammt von Taski (siehe Tarski 1977),
der zwei Sprachebenen unterscheidet: Die Objektsprache als
Ebene der formalen Logik wird mit Hilfe einer Metasprache,
die sozusagen auf einer Ebene oberhalb der Objektsprache liegt,
eingeführt. Als Metasprache dient uns im folgenden das Deutsche.
Treten in einem metasprachlichen Ausdruck objektsprachliche Termini
auf, die zugleich Elemente der Metasprache sind, so werden diese
mittels " ‘‘ " und " ’’
" besonders gekennzeichnet. So wird etwa mit einem ‘‘und’’
ein objektsprachliches Zeichen markiert.
Bereits bei der Einführung in die Mengenlehre haben wir
gesehen, dass beim Aufbau einer formalen Sprache zunächst
ihre primitiven oder auch atomaren Einheiten,
aus denen sich alle anderen Ausdrücke dieser Sprache zusammen
der Sprache zusammensetzen, einzuführen sind. Die Wahl der
primitiven Einheiten restringiert selbstverständlich die
Ausdrucksstärke der konstruierten Sprache. Die Aristotelische
Logik benannte Begriffe, Urteile und Schlüsse als die atomaren
Einheiten der Logik. Diese Dreiteilung der Grundbegriffe der Logik
wurde im wesentlichen durch das Mittelalter hindurch bis heute
beibehalten.
Ein Satz ist eine Rede, die etwas von etwas bejaht oder
verneint. Sie entweder allgemein oder partikulär oder unbestimmt.
Allgemein nenne ich sie, wenn etwas jedem oder keine zukommt,
partikulär, wenn es irgend einem oder irgend einem nicht
oder nicht jedem zukommt, unbestimmt, wenn die Rede etwas zukommen
oder nicht zukommen lässt ohne den Zusatz allgemein oder
partikulär (so dass sie es unbestimmt lässt, in welcher
von beiden Weisen es zu nehmen ist), wie z. B. in dem Satz:
Das Konträre fällt unter die selbe Wissenschaft, oder:
Die Lust ist kein Gut. [...]
Begriff [...] nenne ich die Bestandteile, in die der
Satz als in Prädikat und Subjekt der Prädikation sich
auflöst, mag nun das Sein bei der Bejahung hinzugesetzt
oder bei der Verneinung, wo es Nichtsein wird, ausgeschieden
werden.
Ein Schluss ist eine Rede, in der, wenn etwas gesetzt
wird, etwas von dem Gesetzten Verschiedenes notwendig dadurch
folgt, dass dieses ist. Mit dem Ausdruck: Dadurch, dass dieses
ist, meine ich, dass die Folge seinetwegen eintritt, und damit,
dass sie seinetwegen eintritt, dass es sonst keines, von außen
zu nehmenden Begriffs bedarf, damit sich ihre Notwendigkeit
ergibt.
Vollkommen nenne ich einen Schluss, der, damit seine
Notwendigkeit einleuchtet, außer den Voraussetzungen keiner
weiteren Bestimmung bedarf, unvollkommen eine solchen, der noch
einer oder mehrerer weiterer Bestimmungen bedarf, die zwar wegen
der zugrunde liegenden Begriffe notwendig gelten, aber nicht
in den Vordersätzen enthalten sind.
Von George Boole (1815 - 1864) und Augustus De Morgan (1806 -
1871) stammt die für die formale Logik grundlegende algebraische
Behandlung der klassischen Logik: Begriffe und Sätze (Urteile)
wurden durch Variablen ersetzt sowie Schlüsse durch algebraische
Operationen beschrieben. Friedrich Ludwig Gottlob Frege (1848
- 1925) entwickelte die Idee der Formalisierung der Logik via
Kalkül weiter. Seine primitiven Einheiten sind Gedanken,
die entweder wahr oder falsch sein können. Bertrand Russell
(1870 - 1972) und Alfred N. Whitehead (1861 - 1947) nannten ihre
primitiven Einheiten Propositionen, die das umfassen, was ein
Aussagesatz ausdrückt. Propositionen sind Äquivalenzklassen
der Relation "Der Satz Si hat dieselbe
Bedeutung wie der Satz Sj". Propositionen,
die keine anderen Propositionen enthalten, heißen atomar.
Atomare Propositionen sind die logischen Atome der Aussagenlogik.
Die "Wörter" der Aussagenlogik sind durch Variablen,
die atomare Propositionen symbolisieren, sowie durch eine Reihe
logischer Symbole gegeben.
Definition 3.1.1 Sei ATOM = { p,
q, r, ... } die Menge der atomaren bzw.
elementaren Propositionen. Sei ferner SYMB = { ,
(, ), ¬,
)} die Menge der Symbole. Das Alphabet der propositionalen
Logik ist dann die Menge LPROP = ATOM
SYMB.
Die Menge aller möglichen "Strings" über
LPROP ist L*PROP.
Eine echte Teilmenge dieser Menge (das heißt das Universum
des durch LPROP determinierten freien
Monoids enthält die syntaktisch wohlgeformten Ausdrücke
der propositionalen Logik, die Formeln genannt werden.
Definition 3.1.2 Die Menge der wohlgeformten
Formeln der Aussagenlogik der Aussagenlogik ist die kleinste Menge
PROP L*PROP,
für die gilt:
1. ATOM PROP;
2. aus p, q
PROP folgt: ( p q
), ( p q ),
¬ p PROP.
Die Konstruktion einer wohlgeformten Formel kann mit Hilfe eines
Baumes dargestellt werden, der als Blätter die atomaren Propositionen
und als Wurzel den zusammengesetzten Ausdruck ausweist.
Beispiel 3.1.1 Ein Konstruktionsbaum für
( q ¬ ( p
r )):

Abbildung 3.1: Ein Konstruktionsbaum für das Ausdrucksbeispiel
Definition 3.1.3 Auf der Grundlage der Operationen
, ,
¬ können weitere Operationen definiert werden:
1. p q iff
¬ p q;
2. p p iff
p q und q
p.
Man liest " p q "
bzw. " p q " als
" p und q " bzw. " p
oder q ". " ¬ p " wird gelesen
als " nicht p ", schließlich liest man
" p q " bzw.
" p q " als "
p impliziert q " bzw. " p
biimpliziert q ". " p
q " bzw. " p q
" ist die Konjunktion bzw. Disjunktion
aus p und q, " ¬ p "
heißt Negation von p, " p
q " heißt Implikation
von q aus p, schließlich heißt "
p q " Biimplikation
von q und p. Ferner sagt man: Ein Literal
ist eine atomare Formel oder deren Negation.
Der Aufbau der Aussagenlogik ist durch die Angabe von Syntaxregeln
natürlich nicht beendet. Der Aufbau einer Logik erfolgt vielmehr
durch Angabe eines Kalküls, der ein Alphabet,
eine Menge von Axiomen sowie eine Menge von Ableitungs- oder Deduktionsregeln
als Komponenten enthält. Ein Kalkül verfolgt den
Zweck, mit Hilfe der Axiome unter Verwendung der Deduktionsregeln
Formeln aus PROP abzuleiten, die Sätze oder
Theoreme genannt werden. Die Grundidee des Kalküls besteht
also darin, Formeln als Theoreme aus einer gegebenen Menge von
Axiomen abzuleiten, die als "wahr" betrachtet werden,
und zwar unter Absehung der Bedeutungen der in den Sätzen
auftretenden Aussagen. Die Ableitung der Theoreme erfolgt sozusagen
rein syntaktisch, ohne Referenz auf die Semantik der
verwendeten elementaren Aussagen. Man kann daher einen Kalkül
auch als ein Verfahren betrachten, mit dessen Hilfe die Theoreme
einer Sprache systematisch aufgezählt werden können,
ohne dass der Kalkül zugleich entscheidbar zu sein
braucht. Der erste Kalkül für die Aussagen- und Prädikatenlogik
stammt von B. Russell und A. N. Whitehead (1910). Von Hilbert
stammt der Versuch, die gesamte Mathematik mit Hilfe eines Kalküls
zu formalisieren:
Der Grundgedanke meiner Beweistheorie ist folgender:
Alles, was im bisherigen Sinne die Mathematik ausmacht, wird
streng formalisiert, so dass die eigentliche Mathematik oder
die Mathematik in engerem Sinne zu einem Bestande an Formeln
wird. Diese unterscheiden sich von den gewöhnlichen Formeln
der Mathematik nur dadurch, dass außer den gewöhnlichen
Zeichen noch die logischen Zeichen, insbesondere die für
"folgt" ( ) und für "nicht"
( ¯ ) darin vorkommen. Gewisse Formeln, die als Bausteine
des formalen Gebäudes der Mathematik dienen, werden Axiome
genannt. Ein Beweis ist eine Figur, die uns als solche anschaulich
vorliegen muss; er besteht aus Schlüssen vermöge des
Schlussschemas

wo jedes Mal die Prämissen, das heißt die
betreffenden Formeln S und S
I jede entweder ein Axiom ist bzw. direkt durch Einsetzung
aus einem Axiom entsteht oder mit der Endformel I eines
Schlusses übereinstimmt, der vorher im Beweis vorkommt
bzw. durch Einsetzung aus einer solchen Endformel entsteht.
Eine Formel soll beweisbar heißen, wenn sie entweder ein
Axiom ist bzw. durch Einsetzen aus einem Axiom entsteht oder
die Endformel eines Beweises
ist.
Ein Kalkül der Aussagenlogik wäre also gegeben durch
eine Teilmenge von PROP, den Axiomen, sowie durch eine Menge von
Ableitungsregeln, die Operationen der Form PROP x PROP
PROP darstellen. Durch diese Formalisierung wird das logische
Schließen als "Manipulation" von Formeln (Symbolmanipulation)
abgebildet, wobei von der Bedeutung der Formeln abgesehen wird:
Aussagen werden durch Aussagenvariablen p, q,
r, ... ersetzt. Ein Kerngedanke des Kalküls besteht
nun darin, dass alles, was mit Hilfe des Kalküls ableitbar
ist, für den Gegenstandsbereich, den der Kalkül modelliert,
Gültigkeit besitzt. Im Falle des Hilbert-Programmes umfasst
dieser Gegenstandsbereich denjenigen der Mathematik, das heißt
dass der Hilbertsche Kalkül das mathematisch Beweisen kalkülisieren
soll. Gödel (siehe u. a. Gödel 1985) hat gezeigt, dass
das Hilbertsche Programm für die Mathematik nicht durchführbar
ist.
Als notwendige und hinreichende Voraussetzungen für das
Funktionieren eines Kalküls nennt Hilbert folgende Bedingungen:
1. Die Widerspruchsfreiheit soll
garantieren, dass in einem Kalkül nicht gleichzeitig p
und ¬ p ableitbar sind.
2. Die Forderung nach Vollständigkeit
verlangt, dass alle Theoreme des Gegenstandsbereichs innerhalb
des Kalküls ableitbar sein sollen, und umgekehrt.
3. Die Bedingung der Einfachheit garantiert,
dass unter zwei Kalkülen zur Formalisierung desselben Gegenstandsbereichs
derjenige ausgewählt wird, der mit der geringeren Menge
an Axiomen auskommt. Es wird also von jedem Axiom verlangt,
nicht mittels der übrigen Axiome ableitbar zu sein.
|
3.2 Syntaktische
Ableitungen
|
|
Definition 3.2.1 Die Menge AXIOM
der Axiome der Aussagenlogik enthält die folgenden
Formeln aus PROP:
Definition 3.2.2 Es existiert genau
eine Deduktionsregel:

Man nennt diese Regel modus ponens (MP).
Anmerkung 3.2.1 Der MP ist eine Regel,
die einen Schluss von den zwei Prämissen p und p
q nach q formalisiert. p und q sind
dabei Variablen, speziell Aussagenvariablen, für die
beliebige Formeln der Aussagenlogik eingesetzt werden können.
So drückt auch die folgende Deduktion den MP aus:

Entscheidend ist nur, dass die Einsetzung für p
und q konsistent vorgenommen wird und dass q und q
p selbst syntaktisch ableitbar sind oder Axiome darstellen
(oder Voraussetzungen bilden).
Definition 3.2.3 Sei P
Pot ( PROP ) und q
PROP. Es gilt: P
q iff q kann aus P AXIOM durch
einmalige Anwendung des MP abgeleitet werden.
" "
heißt syntaktischer Ableitungsoperator. Mit
" *"
bezeichnen wir die transitive Hülle von "
". Falls P die leere Menge ist, schreiben wir
q. Oftmals schreibt man anstelle
von " P
*q " einfach " P
q ".
Definition 3.2.4 p* =def
{ q | p
* q }.
Die Elemente von p* heißen Ableitungen
von p.
Definition 3.2.5 Sei P
PROP. Es gilt dann:
1. P heißt konsistent iff
es gilt nicht: P
q ¬ p.
2. P heißt maximal konsistent,
wenn P konsistent ist und wenn für jeden in M nicht
enthaltenen Satz p gilt, dass die um p erweiterte Menge
M inkonsistent wird.
Definition 3.2.6 p heißt
Theorem iff
* p, in kürzerer Schreibweise:
p.
Beispiel 3.2.1 Es gilt: ( p
q ) q
p, denn:

Satz 3.2.1 Deduktionstheorem: { p
} q iff
p q.
Beweis: Wir haben zwei Schritte zu beweisen:
1. Aus { p }
q folgt
p q, denn: { p
} q
gilt genau dann, wenn q unter Verwendung der Menge
{ p } AXIOM sowie des MP in
einem Schritt ableitbar ist, das heißt: { p
} q
iff
.
Hierin steckt aber bereits die Forderung (und Folgerung),
dass
p q. Falls aber q
nicht (in einem Schritt) mit Hilfe von p, sondern
durch Rekurs auf ein r AXIOM,
r ≠ p abgeleitet wurde, dann gilt:

2. Aus
p folgt, dass { p }
q ableitbar ist, denn: Der Ausdruck { p }
q
besagt, dass p als Prämisse verwendet werden
kann, um q abzuleiten. Da annahmegemäß
q
p gilt, haben wir genau die
Struktur des MP. Man beachte, dass nicht verlangt wird,
dass p ATOM, vielmehr steckt
in dem Ausdruck { p }
q selbst schon eine Annahme, nämlich hinsichtlich
der Verwendbarkeit von p zur Ableitung von q.
Anmerkung 3.2.2 Das Deduktionstheorem ist ein
sogenanntes Metatheorem. Ein Metatheorem ist kein
Theorem der Aussagenlogik, sondern über die Aussagenlogik.
Das Deduktionstheorem beschreibt eine abstrakte Beziehung,
die zwischen bestimmten Schlüssen der Aussagenlogik gilt.
Satz 3.2.2 Sei ≈
PROP2 eine Relation, für die gilt: p
≈ q iff p
q und q
p. ≈ ist eine Äquivalenzrelation.
Beweis:
1. ≈ ist reflexiv, da nach Axiom
(1) für alle p PROP gilt:
p p.
2. ≈ ist definitionsgemäß
symmetrisch.
3. ≈ ist transitiv, denn: Aus
p q und
q p sowie
q r und
r q folgt:

sowie

Definition 3.2.7 sei PROP≈
die Menge der Äquivalenzklassen gemäß
der Relation ≈. Ferner gelte für beliebige
| p |, | q |
PROP≈:
1. | p | ≤ | q |
iff p
q;
2. | p |
| q | = | p q
|;
3. | p |
| q | = | p q
|;
4. - | p | = | ¬ p
| ist dass Komplement von | p |.
< PROP≈, ≤ > ist dann eine
verbandsgeordnete Menge, < PROP≈,
, ,
— > ist eine Boolesche Algebra und heißt Lindenbaumalgebra.
Es gilt noch (wegen A 12 und A 13):
= | p
| - | p
| und = | p | - | p |.
Satz 3.2.3 | p | | q |
= inf ( | p |, | q | ).
Beweis: Nach Axiom (7) gilt
( p q )
p bzw.
( p q )
q und somit | ( p q
) | ≤ | p |sowie | ( p
q ) | ≤ | q |. Ferner, falls für
ein beliebiges r gilt: | r | ≤ |
p | und | r | ≤ | q |, so kann mit
Hilfe von Axiom (8) deduziert werden, dass { r
q, r p }
r ( p
q ) und somit | r | ≤ | ( p
q ) |.
Entsprechend zeigt man, dass | p |
| q | = sup ( | p |, | q | ).
Anmerkung 3.2.3 Der hier vorgestellte
Kalkül für die Aussagenlogik entspricht nicht der
Hilbertschen Forderung nach Einfachheit. Man kann Kalküle
für die Aussagenlogik konstruieren, die mit erheblich
weniger Axiomen auskommen. Hier ein Beispiel: Die Menge AXIOM
enthalte folgende Axiome:
1. p ( q
p ),
2. ( p (
q r ))
(( p q )
( p r )),
3. ( ¬ p
¬ q ) ( q
p ).
Als Ableitungsregel fungiert wieder der MP. Wir können
dann z. B. die Beziehung AXIOM
p p beweisen, das heißt
p
p muss nicht eigens, wie oben geschehen, als Axiom
eingeführt werden:
1. Axiom (1): p
(( q p )
p )
2. Axiom (2): ( p
(( q p )
p )) (( p
( q p ))
( p p ))
3. MP aus 1 und 2: ( p
( q p ))
( p p )
4. Axiom: (1): p
( q p )
5. MP aus 3 und 4: p
p.
|
3.3 Die Semantik
der Aussagenlogik
|
|
Definition 3.3.1 Die Semantik der Aussagenlogik
wird erklärt mittels einer Funktion || || : PROP
,
die folgendermaßen definiert ist:
1. Für alle p, q
PROP gilt: || p || = 1 iff p ist "wahr"
bzw. || p || = 0 iff p ist "falsch".
Ferner:
2. || p q
|| = 1 iff || p || = 1 und ||
q || = 1.
3. || p q
|| iff || p ||= 1 oder || q
|| = 1.
4. || ¬ p || = 1 iff
|| p || = 0.
Anmerkung 3.3.1 Wir bemerken, dass die Funktion
|| || insbesondere für die Formel p 
q festlegt, dass
|| p q || = 1
iff || ¬ p q
|| = 1 iff p = 0 oder q = 1
Gilt nun in jedem Falle || p || = 0,
so folgt hieraus, dass die Implikation || p
q || wahr ist für jedes beliebige q. Dieser
Eigenschaft der Implikation wegen spricht man ach von einem
"Ex falso quodlibet" - "Aus einem
Widerspruch folgt Beliebiges".
Symbolisiert p z. B. den propositionalen Gehalt des Satzes
"Alle Kühe können fliegen.", so kann aus
diesem sicherlich falschen Satz jeder beliebige Satz gefolgert
werden, etwa auch: "Wenn alle Kühe fliegen können,
dann ist Napoleon der Kaiser von China." || || ordnet
jeder solchen Implikation den Wahrheitswert 1 zu. Wir
erkennen deutlich, dass die Algebraisierung der Logik gerade
von den Bedeutungen der Sätze, die sie durch Aussagenvariablen
ersetzt, sollständig absieht.
Die Bedeutung einer wohlgeformten Formel p resultiert
aus der Anwendung von || || auf p. Die Bedeutung einer
zusammengesetzten Formel ist eine Funktion der Bedeutungen der
atomaren Formeln, welche durch die Blätter des Konstruktionsbaumes
für p dargestellt werden. Hinter dieser Festlegung
verbirgt sich ein rekursives Prinzip: Die Bedeutung eines Ausdrucks
der Aussagenlogik ist eine Funktion der Bedeutungen seiner unmittelbaren
Teilausdrücke, deren Bedeutungen wiederum auf der Basis
desselben Prinzips bestimmt werden. Dieses Kompositionalitätsprinzip
der Bedeutung haben wir weiter oben bereits kennen gelernt.
Natürliche Sprachen "verletzen" dieses Prinzip
in aller Regel: Die Bestimmung der Bedeutungen natürlichsprachlicher
Äußerungen eruiert die Einbeziehung ihrer ko- und
kontextuellen Einbettung. Die Zuordnung von Wahrheitswerten
zu den atomaren Propositionen heißt Interpretation
oder auch Belegung.
Die Frage, ob eine beliebige wohlgeformte Formel p
PROP unter jeder möglichen Belegung
ihrer atomaren Formeln mit Wahrheitswerten wahr ist, kann durch
ein einfaches Entscheidungsverfahren beantwortet werden. Hierzu
bedient man sich der Methode der Wahrheitstabellen.
In einer Wahrheitstabelle werden für alle möglichen
Interpretationen der atomaren Formeln die resultierenden Bedeutungen
des Gesamtausdrucks bestimmt:
|| p || |
|| q || |
|| p
q || |
|| p
q || |
|| ¬ p || |
|| p
q || |
|| p
q || |
1 |
1 |
1 |
1 |
0 |
1 |
1 |
1 |
0 |
0 |
1 |
0 |
0 |
0 |
0 |
1 |
0 |
1 |
1 |
1 |
0 |
0 |
0 |
0 |
0 |
1 |
1 |
1 |
Tabelle 1 Wahrheitswerte für die elementaren
Operationen der Aussagenlogik
Definition 3.3.2 Seien p, q
PROP, dann gilt:
1. p heißt Tautologie
iff || p || = 1 für jede Interpretation
von p;
2. p heißt erfüllbar iff
es gibt mindestens eine Interpretation von p, für die
gilt: || p || = 1;
3. p heißt Kontradiktion
iff || p || = 0 für jede Interpretation
von p.
4. p ≡ q iff ( ||
p || = 1 || q || =
1 ). p und q heißen dann äquivalent.
" " ist ein metasprachliches
Zeichen und bedeutet das selbe wie "genau dann, wenn".
Beispiel 3.3.2 Es gilt:
1. Die de Morganschen Gesetze: ¬ ( p
q ) ≡ ¬ p
¬ q und ¬ ( p
q ) ≡ ¬ p
¬ q.
2. ¬ ¬ p ≡ p.
Anmerkung 3.3.2 Die de Morganschen Gesetze
legen es nahe, die Semantik sämtlicher bisher eingeführter
aussagenlogischer Funktoren allein mit Hilfe der Negation und
Implikation zu definieren. So gilt etwa:
|| p q || = || ¬
( p ¬ q ) ||
Dass diese Äquivalenzen unmittelbar auf den syntaktischen
Ableitungsoperator " " übertragbar sind,
folgt aus dem Vollständigkeitssatz (s. u.). Das heißt
aber, dass die Semantik der Aussagenlogik vollständig mit
Hilfe der beiden Funktoren "¬" und " "
erklärt werden kann. Diese Sichtweise leitet zur folgenden
Definition über:
Definition 3.3.3 Eine Belegung der Formeln
aus PROP heißen Bewertung, wenn für alle
p, q gilt:
1. || ¬ p || = 1 iff
|| p || = 0, und
2. || p q
|| = 1 iff p = 0 oder q = 1.
Anmerkung 3.3.3 Neben den bislang eingeführten
Funktoren existiert noch eine Reihe anderer zweistelliger Funktoren
(genau 24 = 16 verschiedene Funktoren, da
genau 16 verschiedene vierstellige Permutationen der Elemente
0, 1 mit Wiederholung und Berücksichtigung
der Reihenfolge existieren). Hier ist ihre vollständige
Liste:
Matrix |
Zeichen |
Name |
inhaltliche Bedeutung |
1111 |
 |
Tautologie |
alles (gilt in jedem Falle) |
1110 |
 |
Disjunktion |
mindestens ein (nicht keins) |
1101 |
← |
Replikation |
Das andere nicht ohne das eine |
1100 |
 |
Präzedenz |
jedenfalls das eine (gleichgültig
ob auch das andere) |
1011 |
 |
Implikation |
das eine nicht ohne das andere |
1010 |
 |
Postpedenz |
jedenfalls das andere (gleichgültig
ob auch das eine) |
1001 |
 |
Äquivalenz |
nicht eins allein (beides oder keines) |
1000 |
 |
Konjunktion |
beides |
0111 |
| |
Exklusion |
höchstens eins (nicht beides) |
0110 |
 |
Kontravalenz |
genau eins von beiden |
0101 |
 |
Postnonpedenz |
keinesfalls das andere |
0100 |
 |
Postsektion |
das eine ohne das andere |
0011 |
 |
Pränonpendenz |
keinesfalls das eine |
0010 |
 |
Präsektion |
das andere ohne das eine |
0001 |
† |
Rejektion |
keines (beides nicht) |
0000 |
 |
Antilogie |
nichts (gilt in keinem Falle) |
Tabelle 2 Die dyadischen Funktoren der Aussagenlogik.
Beispiel 3.3.2 p
¬ p ist einen Tautologie und p
¬ p ist eine Kontradiktion, denn es gilt:
|| p || |
|| ¬ p || |
|| p
¬ p || |
|| p
¬ p || |
1 |
0 |
1 |
0 |
1 |
0 |
1 |
0 |
0 |
1 |
1 |
0 |
0 |
1 |
1 |
0 |
Beispiel 3.3.4 Der semantische Ableitungsoperator
" ":
p q
iff ( || p || = 1 ) ( ||
q || = 1 )
" " ist ein metasprachliches Symbol
und bedeutet das selbe wie "daraus folgt, dass". Letztere
Festlegung kann folgendermaßen gelesen werden: Jede Belegung
die p wahr macht, macht auch q wahr, aber nicht unbedingt umgekehrt.
Definition 3.3.5 Cons ( p
) =def { q | p
q }. Die Elemente von Cons ( p )
heißen Konsequenzen von p.
Wir wollen an dieser Stelle die Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit
das eingeführten Aussagenkalküls beweisen.
Satz 3.3.1 Widerspruchsfreiheit: Alle
auf der Grundlage der Menge AXIOM und des MP beweisbaren
Sätze sind Tautologien. Vollständigkeit: Alle
Tautologien sind auf der Grundlage der Menge AXIOM und
des MP beweisbar. Mit anderen Worten:
p q iff p
q
Beweis: Zunächst zur Widerspruchsfreiheit:
Alle Axiome p AXIOM sind Tautologien
(einfache Verifikation mit Hilfe der Methode der Wahrheitstafeln).
Der MP überführt aber Tautologien wieder in Tautologien,
denn falls p p eine Tautologie
ist, so erfüllt jede Belegung, die p erfüllt,
das heißt für die gilt: || p || = 1, auch
q. Wenn aber p eine Tautologie ist, dann erfüllen
alle Belegungen p und somit auch q.
Beweisidee Nun
zur Vollständigkeit: Wir erinnern uns, dass eine Menge
M von Formeln konsistent heißt, falls die Beziehung
M p
¬ p nicht gilt. Mit M
p ¬ p kann man wegen
Axiom (12) jede Formel ableiten, also insbesondere auch ¬ ( p
p ). Also gilt unter der Annahme M
p ¬ p auch M
¬ ( p
p ). Da nun aber für jede Menge P gilt:
P p
p, enthält M folglich einen Widerspruch,
da || p p || = 1 für
jede Belegung von p p.
Wir betrachten nun folgende Hilfssätze, die wir der Reihe
nach beweisen wollen:
1. Falls p,
dann ist die Menge { ¬ p } konstant.
2. Zu jeder konsistenten Menge M
gibt es eine maximal konsistente Menge M*, die alle
Sätze aus M enthält.
3. Zu jeder maximal konsistenten Menge M*
gibt es eine Bewertung, die genau die Sätze aus M*
erfüllt.
Wird die Geltung dieser drei Sätze einmal vorausgesetzt,
so kann die Vollständigkeit des Aussagenkalküls folgendermaßen
(indirekt) gezeigt werden: Ist p nicht im Aussagenkalkül
beweisbar, so ist nach Satz (1) die Menge { ¬ p
} konsistent. Nach Satz (2) und (3) existiert dann eine Menge
M* mit einer Bewertung, die die Sätze von M*
erfüllt, also insbesondere ¬ p. Dann ist aber
p aussagenlogisch falsch. Also gilt: Wenn p nicht
im Aussagenkalkül beweisbar ist, dann ist p aussagenlogisch
falsch. Wir wollen nun (der Übung halber) zumindest
die ersten beiden Hilfssätze beweisen:
1. Angenommen es gilt:
p. Wenn nun { ¬ p } inkonsistent wäre,
so gäbe es einen Satz q, so dass { ¬ p
} ¬ ( q
q ). Mit dem Deduktionstheorem erhielte man hieraus:
¬ p
¬ ( q q ). Mit
dem Axiom (3) und dem MP erhielte man schließlich {
q q }
p im Wiederspruch zur Annahme, p sei nicht
beweisbar. Also muss { ¬ p } konsistent sein.
2. Ist M nun konsistent, so kann
M* hieraus folgendermaßen generiert werden:
Alle Sätze aus PROP werden der Reihe nach durchnummeriert,
indem sie der Länge nach und bei gleicher Länge
alphabetisch geordnet werden. Es ist dann M0
= M, Mn+1 entsteht für
ein beliebiges n aus M dadurch, dass der
n + 1te Satz aus PROP zu der Mengen
hinzu genommen wird, falls die resultierende Menge Mn+1
konsistent bleibt. Andernfalls ist Mn+1
= Mn. Es gilt dann: M* =
i {0,...,∞}
Mi.
Offensichtlich ist M* die maximal konsistente Menge
zu M. Ferner ist M* konsistent. Wäre
M* nämlich inkonsistent, so gäbe es eine
endliche Teilmenge von M*, die inkonsistent wäre
(wir betrachten nur endlich lange Ableitungen). Dies widerspricht
aber gerade der Konstruktion von M*.
Wir können diesem Vollständigkeitssatz ein grundlegendes
Aufbauprinzip formaler Sprachen, wie etwa der Aussagenlogik,
entnehmen, nämlich dass die Sätze einer solchen Sprache
gerade so aufgebaut sind, dass ihre syntaktische Struktur ihrer
semantischen Struktur entspricht, wobei syntaktische Regeln
für das Schließen angegeben werden, die den inhaltlichen
Folgerungsbeziehungen entsprechen.
|
3.4 Normalformen
|
|
Definition 3.4.1 Eine wohlgeformte
Formel ist in konjunktiver Normalform (KNF) bzw. in disjunktiver
Normalform (DNF) iff sie von der Form
(bzw. von der Form ( P1
... Pi
... Pn ) ist, wobei
für alle i { 1, ..., n
} gilt: Pi ist eine Disjunktion
(bzw. Konjunktion) von Literalen.
Satz 3.4.1 Zu jeder wohlgeformten Formel
p PROP existiert eine äquivalente
Formel p' PROP, das heißt
p ≡ p', in konjunktiver (bzw. disjunktiver)
Normalform.
Wir wollen diesen Satz an dieser Stelle nicht beweisen, sondern
vielmehr einen Algorithmus zur Ableitung der KNF (bzw. DNF)
einer beliebigen Formel angeben:
1. Zunächst werden alle Funktoren,
die weder " ", "
" noch " ¬ " entsprechen gemäß
ihren Definitionsgleichungen eliminiert (das heißt
dass etwa p q durch
¬ p q ersetzt wird,
usw.).
2. Weiterhin ersetzt man jede Formel der
Bauart
¬ ¬ p durch p,
¬ ( p q ) durch
( ¬ p ¬ q
),
¬ ( p q ) durch
( ¬ p ¬ q
),
bis keine derartige Teilformel mehr durchkommt.
3. Man ersetzt weiterhin jedes Vorkommen
einer Teilformel der Bauart (bzw. des dualen Vorkommens,
i. e. bei Vertauschung von " "
und " ")
p ( q
r ) durch ( p q
) ( p
r )
bis keine derartige Teilformel mehr vorkommt.
4. Man berücksichtigt die Eigenschaft
der Kommutativität und Assoziativität der Funktoren
" " und "
", falls nötig.
Beispiel 3.4.1 Überführung von
( p ( q
r )) s in KNF:
( p ( q
r )) s ≡ (
p ( ¬ q
r )) s
≡ ¬ ( p ( ¬
q r ))
s
≡ ( ¬ p ¬
( ¬ q r ))
s
≡ ( ¬ p ( q
¬ r ))
s
≡ (( ¬ p q
) ( ¬ p
¬ r )) s
≡ (( ¬ p q
) s )
(( ¬ p
¬ r ) s
≡ (( ¬ p q
s ) ( ¬
p ¬ r
s ).
|
|